21.09.2022
Das Loch in der Innentasche meines Mantels
Romandebüt von Bastian Schneider: Am 10. Oktober erscheint bei Sonderzahl „Das Loch in der Innentasche meines Mantels“
Der Autor Bastian Schneider macht sich auf, um sich ein Bild vom Istanbul des Jahres 2017 zu erschreiben – und verschwindet im Gewirr der Erzählungen dabei selbst: Ein Roman über die Untiefen zwischen den selbstgewissen Standpunkten.
Istanbul im Sommer 2017: Ein Jahr nach dem gescheiterten Putschversuch versucht der Schriftsteller Bastian Schneider als Stipendiat, die angespannte Stimmung in der Stadt am Bosporus einzufangen. Anlass seiner Reise ist das Schicksal der vielen Geflüchteten, die auf ihrem Weg vom mittleren Osten nach Europa hier stranden und als Spielball einer repressiven Politik missbraucht werden.
Dieser Fokus rückt jedoch schnell in den Hintergrund, denn schon am Tag seiner Ankunft wird Schneider zum Opfer einer Verwechslung, die nur der Anfang einer Reihe von Irritationen ist: Der Doppelgänger, der an seiner statt im Hotel eingecheckt hat, wird vor seinen Augen als mutmaßlicher Terrorist verhaftet. Und als Schneider wenig später auf weitere – literarische – Doppelgänger stößt, fühlt er sich zunehmend in seiner Identität verunsichert, da gar nicht klar ist, wo die vermeintlichen Fronten um ihn verlaufen – oder wie viele es sind. Selbst die scheinbar zufällige Bekanntschaft mit dem Verleger Orhan hilft ihm nicht, sich im Gewirr der herrschenden politischen Verhältnisse zu orientieren – zu vieles bleibt unaussprechbar, erschöpft sich in kaum aufzulösenden Chiffren und ermöglicht gerade keinen Einblick in die realen Verhältnisse: Wird Schneider selbst als vermeintlicher Spion observiert oder wird er vielmehr gegen den Überwachungsapparat instrumentalisiert? Im Strudel der Erzählungen und Mutmaßungen verheddern sich die Fäden der jeweiligen Erklärungen, bis sich Schneider buchstäblich selbst abhandenkommt.
Der Roman basiert auf "wahren Begebenheiten" und verhandelt die Frage nach der Deutungshoheit über das eigene Leben vor dem Hintergrund einer Gegenwart, in der bereits der Anschein eines "falschen Namens" zum Verhängnis werden kann. Während der erste Teil des Romans die Ereignisse in Istanbul wahrheitsgemäß nacherfindet, begibt sich der zweite Teil des Textes auf die Suche nach dem verschwundenen Bastian Schneider. Dessen Spuren führen immer öfter zu weiteren Rätseln, ohne sich zu jener geschlossenen Erzählung zu fügen, die Schneider selbst seinem Aufenthalt abgewinnen wollte. Die vielbödige Wirklichkeit entpuppt sich bald als surrealer als es die virtuelle Realität oder fake news je sein könnten. Ironischerweise scheint die literarische Einbildungskraft ihrem Autor gerade anhand sauber dokumentierter Fakten aufzeigen zu wollen, wo sein wirklicher Ort ist: nämlich dort, wo das feine Gewebe des Textes löchrig wird.
Bastian Schneider
Das Loch in der Innentasche meines Mantels
Roman
168 Seiten, Hardcover
Format: 13,5 × 21 cm
20,00 Euro (A und D), 20,00 CHF
ISBN 978-3-85449-606-9
Bastian Schneider, 1981 in Siegen geboren. Studium der deutschen und französischen Literatur in Marburg und Paris; Studium der Sprachkunst in Wien. Auszeichnungen: Projektstipendium des BKA Österreich 2021, Wiener Literaturstipendium und Arbeitsstipendium der Kunststiftung NRW sowie Arbeitsstipendium des Landes NRW 2020; Dieter-Wellershoff-Stipendium 2019, Dresdner Lyrikpreis 2018, Arbeitsstipendium der Kunststiftung NRW 2018, Förderpreis des Landes NRW 2017, Stipendiat des Atelier Galata der Stadt Köln in Istanbul 2017, Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium 2016, nominiert für den Ingeborg-Bachmann-Preis 2016.
Er lebt in Köln und Wien. Bei Sonderzahl erschienen bisher: Paris im Titel (112 Seiten, Klappenbroschur, 2020), Die Schrift, die Mitte, der Trost. (96 Seiten, Hardcover, 2018), Vom Winterschlaf der Zugvögel (96 Seiten, Hardcover, 2016).